Eröffnungstext von Martin Schmidt
(…) Aufgrund der Weitläufigkeit der Ausstellungsfläche haben wir eine kleine Retrospektive ihres künstlerischen Werkes vor uns. Und die kommt jetzt direkt „from the basement“. So benennt der Ausstellungstitel in schöner Doppeldeutigkeit zum einen, wo die Bilder herkommen, und zum anderen,
was sie in ihrer Gesamtheit zeigen – sie geben uns einen Einblick in den Grund, die Basis, auf der sie ruhen. Anita vereint in dieser Ausstellung also Bilder, die sie bisher noch nicht zusammen gezeigt hat, etwa aufgrund beschränkter Flächen. Einige Werkkomplexe möchte ich nennen und ein paar Anmerkungen zu ihrer Arbeitsweise. Als Anita z.B. im Joyce-Green-Hospital in Dartford bei London künstlerisch arbeitete, fand sie noch die alten Zettel mit handschriftlichen Nummern vor, die an den Betten befestigt waren und so die Patienten identifizierbar machten. Diese Blätter hat sie mit Latex so übermalt, dass die Ziffern teilweise sichtbar blieben. Die Überlagerung transponierte die Ziffern und ihre quasi erkennungsdienstliche Bedeutung in die Gegenwart eines Malprozesses, deren gestalterischer Akt nun auch schon wieder vergangen ist. Anitas Verfahren der Einschreibung in den Kontext des Vorgefundenen verklammert verschiedene Zeitebenen und wird damit zum Kommentar über historische Kontinuitäten. (..)
(…) Werfen wir einen abschließenden Blick auf das Großformat „Chichen Itza“, das hier
den nötigen Raum zum Atmen erhält. Auch hier liegen wieder mehrere Bildschichten
übereinander. Die mäandernden Linien sind wie eine Suchbewegung, die den Raum
einkreisen, teilweise verdichten, aber auch den Blick auf Darunterliegendes lenken.
Das Bild, obwohl physikalisch stillgestellt, denn es ist ja „fertig gemalt“, pulsiert, es
lebt und vermittelt den Eindruck, es zu jeder Zeit wieder anders und neu sehen zu
können. Die Künstlerin ist so klug, ihre Zeit nicht mit dem Streben nach dem
„ultimativen“ Werk zu verschwenden. Prozesshaftigkeit und Dynamik sind ihre
Lebensbegleiter geworden.
Und so werden Anita Stauds Bilder immer wieder zu atmenden Komplexen aus zu
Zeichen verdichteten Energien. Sie bekommen damit etwas Naturhaftes und leben
auch für sich ohne seriellen Zusammenhalt. Die Nähe zu asiatischer Kalligraphie ist
offensichtlich, auch wenn der Bedeutungsraum, den Anita öffnet, kein durch Tradition
festgelegter ist. Aber ihre Einsicht in die Unwiederholbarkeit und damit Kostbarkeit
des Einzelmoments befähigt sie, sich in außereuropäische Kunstformen einzufühlen.
So arbeitet sie schon seit Jahren mit dem Lyriker Rainer Stolz zusammen, zu dessen
Haikus sie Tuschpinselzeichnungen geschaffen hat, die das poetische Werk nicht
illustrieren, sondern anempfindend begleiten. Es ist ein Buch entstanden, zu dem sie
vier Arbeiten beigetragen hat. Anita hat Rainer Stolz eingeladen, den heutigen Abend
mit einigen seiner Haikus zu begleiten, und so möchte ich jetzt Anita eine
erfolgreiche Ausstellung und uns allen einen anregenden Abend wünschen und gebe
das Wort nun an Rainer Stolz weiter. Vielen Dank.
Martin Schmidt